In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich, wenn Professoren vor Sprech- und Denkverboten warnen?
Ich teile die Analyse von Thea Dorn: es entsteht gerade eine tendenziell paranoide Atmosphäre.
„Das permanente Beleidigtsein beschränkt sich nicht auf ein Milieu, sondern ist Ausdruck einer politischen Radikalisierung. Auf der Linken sind es die Anhänger der Identitätspolitik, die sich als Frau, als Mitglied der LGBTQ-Community oder als Bürger mit Einwanderungsgeschichte beleidigt fühlen. Auf der Rechten sind es plötzlich die Deutschen, die den Eindruck haben, in ihrem Deutschsein gekränkt zu werden – siehe den absurden Antrag der AfD vom vergangenen Jahr, den Volksverhetzungsparagrafen um den Tatbestand der Volksverhetzung gegen Deutsche zu erweitern. Diese Entwicklung scheint mir in zweierlei Hinsicht gefährlich: Es entsteht eine tendenziell paranoide Atmosphäre.“
Thea Dorn hat es in der ZEIT gut zusammengefasst. „In den USA werden unsere westlichen Gesellschaften bisweilen als „WEIRD“ bezeichnet – ein Akronym aus „Western, Educated, Industrial, Rich, Democratic“ –, was aparterweise „merkwürdig“ oder „seltsam“ bedeutet. Diese Bezeichnung stammt nicht etwa aus dem Umfeld des derzeitigen US- Präsidenten oder von Anhängern der Tea-Party-Bewegung, sondern spielt eine wichtige Rolle bei liberalen Moralpsychologen wie Jonathan Haidt oder Drew Westen, die erforschen, was hochindividualisierte, offene Gesellschaften zusammenhält, und die – mit mäßigem Erfolg – versuchen, die US- amerikanischen Demokraten zu beraten. Ihre Botschaft ans linksliberale Lager lautet: Eure zentralen Anliegen wie die Sorge um Minderheitenrechte, sozialstaatliche Fürsorglichkeit und Gerechtigkeit sind zentrale Anliegen. Aber ihr begeht einen gravierenden Fehler, wenn ihr die konservativen Anliegen wie Schutz der (traditionellen) Familie, Religion oder Patriotismus in Bausch und Bogen als veraltete, nicht mehr legitime Werte abqualifiziert. Schaut euch um, sowohl in der Geschichte eurer eigenen Staaten als auch in der übrigen Welt, und ihr werdet feststellen, dass ihr die „seltsame“ Minderheit seid und nicht diejenigen, die an Familie, Religion und Patriotismus glauben.“
Link zum Presseartikel des Deutschen Hochschulverbandes vom 10.04.2019: KEMPEN: „FREIE DEBATTENKULTUR MUSS VERTEIDIGT WERDEN“
Link zum Artkel auf Welt.de vom 05.04.2019: Thea Dorn „Tendenziell paranoide Atmosphäre“